Cornelia Lambriev-Soost
Zu den Bildern von Javis Lauva: Ein Fleck ist ein Fleck, ist ein Fleck. Ein Fleck allein ist zu wenig. Um sich zu unterscheiden, braucht es einen zweiten, um sich darzustellen einen dritten – um zu dominieren viele. Kleine und große, prägnante und weniger prägnante. In diesem Thema liegt eine Faszination und eine große Tiefe. Javis Lauva beschäftigt sich seit Jahren mit solch einfachen Strukturen – Flecken und Lineaturen. Auf der Leinwand, auf Papier setzt er sie in Beziehung zueinander, baut Spannungen auf und ab, bringt die Dinge aus der Ordnung und wieder ins Gleichgewicht. Schafft Kräfte und Gegenkräfte. Er tut das solange, bis das Bild eine bestimmte Verdichtung erreicht — und es seinen eigenen Rhythmus gefunden hat. So entsteht ein Bild. Der Prozess des Bildermalens gleicht einer Suche. Es gibt endlos viele Wege und Möglichkeiten. Es ist ein Suche, die an eine elementare Neugierde um die Abläufe des Lebens anknüpft. Manche Arbeiten wecken in mir die Assoziation von Landschaft, andere lassen mich an Fossilien und florale Motive denken, und oft erinnern sie mich an die Wunder aus der Welt des Mikrokosmos. Neben der Kunst und dem Kochen ist das Interesse an dieser Welt eine Leidenschaft, die ich mit dem Maler teile. Und es ist, als öffneten mir seine Arbeiten eine andere Sicht. Ein neues Verständnis als das naturwissenschaftlich-forschende für das, was in der Natur und in uns passiert. Für mich haben seine Arbeiten mit dem ganzen Universum zu tun. Mit der Erfahrung dessen, was uns lebensfähig macht und lebendig sein lässt. Es ist als könnte ich eintauchen in die Vorgänge der winzigsten Zelle, eines Regentropfens oder der Atmosphäre. Sachliche Erkenntnisse finden in den Bildern von Javis Lauva eine sinnliche Entsprechung. Mein Thema sind die kleinen Teile, die sich zu großen Teilen verbinden, sagt der Künstler. Es geht dabei um Anordnung, um die Verteilung der Partikel auf dem Malgrund. Und letztlich geht es um Ordnung, ja um Harmonie. In diesem Sinne sind die Bilder von Javis Lauva Analogien. Wie er es formuliert, Analogien zu harmonisierenden Prozessen in der Natur. Ich denke – so der Künstler – dass ein Lebewesen auch so etwas ist wie die Harmonisierung unterschiedlichst strukturierter Teile, die zum Laufen gebracht werden. So entsteht eine bestimmte Organisationsform von Lebensprozessen. Und wenn man es so betrachtet, verbindet sich Malerei in ihrer grundsätzlichen Aufbauweise mit dem grundsätzlichen Aufbau, wie er in der Natur vonstatten geht. Wer die Arbeit von Javis Lauva verfolgt, bemerkt, dass seine Bilder – er arbeitet gern mit Ölfarbe und Wachs – mit den Jahren farbiger und die Hintergründe transparenter geworden sind. Doch dem Maler geht es dabei nicht um die Farbigkeit der Bilder. Er nutzt die Farbe als weitere Möglichkeit zur Differenzierung der einzelnen Flecken und Lineaturen. Setzt eine Farbe ein, um sie woanders wieder abzuschwächen, arbeitet mit Farbüberziehungen, um zusätzlichen Raum zu schaffen. Neben den stark verdichteten und streng geordneten Arbeiten, die eine tiefes Gefühl der Ruhe und auch Vertrautheit in mir auslösen, gibt es da die kreisenden Bilder mit den großen Zwischenräume zwischen den Partikeln. Der Tanz ist so eine Arbeit. Das Bild hat einen stark zentrierten Mittelpunkt, um die die Lineaturen kreisen. Und plötzlich verwischen die Konturen, bekommen Plastizität – aus den Strukturen und Linien formen sich ganz konkret erkennbare Figuren und Dinge die aufeinander regieren. Ein kurioses Spiel, das mich jedes Mal aufs Neue erheitert. Und einen Moment später verwandelt das Auge alles wieder zurück ins Abstrakte. Javis Lauva träumte einmal von Penck. Penck stellte sich vor ihm auf und sagte: Struktur und Rhythmus – das reicht für ein gutes Bild.
Sibylle Tamin
Eröffnungsrede Ausstellung Galerie Asperger (Paula Schmidt und Javis Lauva), 2005 (Auszug)
In den Größenverhältnissen der Welt, gibt es einen feinen Punkt, wo sich Phantasie und Wissen treffen, einen Punkt, den man erreicht, wenn man Großes verkleinert und Kleines vergrößert, und der seinem Wesen nach künstlerisch ist. Wie groß kann etwas sein, daß der Künstler, der Maler es noch fassen kann auf seinem Blatt? So groß wie die Welt, hat Jan van Eyck geantwortet und in seiner mappa mundi die Fülle der Welt erscheinen lassen und hinzugefügt „so gut ich kann“ und so dem scheinbar Vermessenen die Demut beigegeben. Die Welt erscheint in den Bildern von Paula Schmidt und Javis Lauva als Struktur, als strukturales Netzwerk. Es gibt kein Zentrum hier, von dem alles seinen Ausgang nimmt, das Bild ist Rahmen ohne Abgrenzung. Strukturen knüpfen sich fort, dehnen sich, wachsen aus dem Bild, wachsen über das Bild hinaus, in neue Räume, alles miteinander verbindend auch dort, wachsen zum gigantischen Körper, ein universeller Körper ohne Anfang und Ende, eine Bewegung ins Endlose: verbinden, lösen, werden und vergehen, ein ewiger Kreislauf.Vor 500 Jahren war dieser Gedanke noch lebensgefährlich. Giordano Bruno brannte dafür. Die Vorstellung von der Ewigkeit als Kreislauf aus Werden und Vergehen eines großen Ganzen, von einem Wechsel, in dem nicht das Individuum, sondern die Struktur Bestand hat, solche Vorstellung galt als Eingebung des Teufels. Ist die Struktur nun das Unsterbliche? Nimmt man ein Synonym zur Hilfe, kann Struktur zur Keimbahn werden. Die Keimbahn, sagen die Humanbiologen, lebt potentiell ewig. Jeder Mensch der heute lebt, wird als das weitergetragene, verschmolzene Leben der Samen- und Eizelle der Eltern begriffen und ist damit so alt wie das Leben selbst, rund 3 ½ Milliarden Jahre. Das Individuum verschwindet, die Struktur bleibt.Linie und Fleck sind in der Malerei konstituierend. In Paula Schmidts Bildern ist die Linie führend, in Javis Lauvas Bildern ist es der Fleck, die kleine Fläche. Orchestra naturale , dieser Bildtitel von Javis Lauva läßt sich über die gesamte Sequenz seiner neuen Arbeiten stellen. Für den Moment ihres Erscheinens befinden sich Farbe und Struktur in rhythmischer Harmonie, haben sich für einen kurzen Augenblick des Glücks zu einem harmonischen Ganzen gefügt, bis zur nächsten Bewegung, zum nächsten Luftzug, zur neuen Verbindung, zum neuem Wachsen, bis zum nächsten harmonischen Ereignis. Das Bild erscheint als Partitur einer Komposition der Natur. Farbe, als sichtbar gewordener Klang; Klangfarbe transponiert in Farbklang; Zeichen, die mit einem Male doppeldeutig werden und dem Betrachter in ihrer ursprünglichen Form entgegentreten, als Gegenstand selbst, als Blüten und Tänzer und Muscheln und Garten, in dem der Samurai sein Schwert schwingt…. Ist das erlaubt? Ist das gewollt? Oder hilft sich der einfältige Betrachter hier aus einer Ratlosigkeit? Da stellt sich der Maler selbst neben ihn und: vielleicht, sagt er, gibt es gar keine reinen abstrakten Zeichen. Die Vielfalt der Formen der Natur besteht aus Themen mit Variationen, Wiederholungen im Ähnlichen. Die künstlerische Form setzt sich schier zwangsläufig in Beziehung zur Natur. Überlaßt euch mit Lust, höre ich ihn sagen, überlaßt euch mit Lust der Doppeldeutigkeit der Zeichen.
Wolfgang Haak
aus der Eröffnungsrede Schloß Friedenstein, Gotha, 2006 (Auszug)
Javis Lauva arbeitet gern mit feinen Strukturen, Verschlingungen, Ornamenten, Linien und Flecken. Sie alle stehen in beinahe persönlichen Beziehungen, die ein seltsames Eigenleben entfalten. Ich sehe in seinen Bildern häufig einen Mikrokosmos von Erscheinungen, Gegenständen und Zuständen, von Dingen, die man schon zu sehen geglaubt hat. Man sucht nach Erinnerungen, vergleicht mit gespeicherten Mustern, spürt, dass die Lösung schon im Blickfeld der Betrachtung eingefangen ist, dass die Lösungsworte auf der Zunge liegen und wird doch nicht schlüssig. Man trifft noch nicht das Zauberwort, das in allen Dingen ruht. Man ist zum Hinschauen verurteilt, denn die Natur in ihren unendlich vielgestaltigen Erscheinungsformen bildet den Hintergrund der bildkünstlerischen Arbeiten, sie hält die Bildwelten zusammen und bietet den Anlass zu neuen Auseinandersetzungen. Sie strahlen eine große Ruhe aus und sie lassen etwas von folgenden Bewegungen, Drehungen, Spiegelungen ahnen. Ich als Betrachter erwarte eine schlagartige Veränderung, aber ich werde genarrt von den Zeichen und Symbolen, die ich nach und nach entdecke und deren Bedeutung ich mich nur annähern kann, ohne sie lösen oder entschlüsseln zu können. Orchestra naturale heißt eine Arbeit von Javis Lauva. Das scheint mir programmatisch zu sein und damit auch ein Bekenntnis, dass in der Abstraktion das Werk seiner Bodenhaftung nie verlustig geht. Thema und Variation, Variation hin zum Thema, die unendliche Möglichkeit, die Welt aus ihren winzigsten Strukturen zusammenzusetzen und sie neu zu betrachten. Javis Lauva stellt seit 1981 Jahr für Jahr seine Arbeiten u. a. in Deutschland, Frankreich, Dänemark, Russland zur Diskussion. Seine Arbeiten befinden sich in bedeutenden Sammlungen, darunter das Kupferstichkabinett Dresden, das Gutenberg-Museum Mainz, die Kestner-Gesellschaft Hannover, die Artothek Moskau. In seinen Holzschnitten, von denen er uns hier in dieser Ausstellung eine Spannbreite zeigt, die von 1989 bis 2007 reicht, arbeitet Javis Lauva in seiner Malerei vergleichbarer Weise mit ähnlich einfachen Strukturen, die aber dem Medium des Holzschnittes entsprechend abgewandelt werden. Die Arbeiten entstehen immer ohne Vorentwurf und ohne Umschneidung der Formen auf der Holzplatte in frei rhythmischer Weise, meistens mit einem einzigen Kehleisen geschnitten. Sie variieren die Möglichkeiten des Holzschnittes in immer neuer Weise, ob es Schwarzlinienschnitt, Weißschnitt oder Kombinationen von beiden Verfahren sind, verlorener Schnitt oder Claire-obscure-Methode. Zum Schluß möchte ich auf eine Veröffentlichung von Javis Lauva hinweisen, auf ein Buch mit dem Titel „52 Gedichte aus dem Grab von Edgar Poe“. In dem Gedicht von Stephan Marllarmé „Das Grab von Edgar Poe“ sah Javis Lauva einen Anlass, es im ureigensten Sinne wortwörtlich zu nehmen und die Worte des Gedichtes einzeln zu befragen und zu umkreisen, sie poetisch und grafisch zu spiegeln. Vielleicht liegt in diesem Verfahren überhaupt ein Ansatz, das Werk des Künstlers Javis Lauva verstehen zu können. Hier offenbart sich für mich die Methode, mit der er sich seinen Gegenständen nähert, wie er sie wahrnimmt. Ich zitiere aus Javis Lauva „52 Gedichte aus dem Grab von Edgar Poe“, ein sehr schönes und rätselhaftes Künstlerbuch mit einem Gedicht von Marllarmé, 52 Texten und Offsetgrafiken von Lauva, erschienen in der Mariannenpresse Berlin 1988.
In seiner nackten Größe
Schutt, Geröll, Kleinklein
ein gräuliches Gefühl – ein Heu,
eine geschlagene Seele (das ist alles sehr grob)
Patsch – ich will die Lösung des Bildes
und klatsche nur mit Haut.
Es wehrt sich groß und größer
Javis Lauva beschäftigt sich seit Jahren mit einfachen, grundlegenden
Strukturen in der Malerei. Mein Thema sind die kleinen Teile, die sich zu
großen Teilen verbinden, sagt der Künstler. Es geht dabei um Anordnung, um
Rhythmus, um Farbbeziehung und Farbangleichung, um essentielle Malerei.
Und letztlich geht es um Ordnung, besser um Neuordnung in Rythmus, Position
und Farbbeziehung. In diesem Sinne sind die Bilder von Javis Lauva Analogien
zu Ordnungsprozessen in der Natur. Viele seiner letzten Arbeiten tragen den
Titel “Schwarm” als Hinweis auf diese Ordnungsprozesse.